Henze, Hans Werner
Symphonie Nr. 7 / Sieben Boleros / Ouvertüre zu einem Theater / L’heure bleue
Gürzenich-Orchester Köln, Ltg. Markus Stenz
Anlässlich des 80. Geburtstags von Hans Werner Henze hat Markus Stenz ein glühendes Bekenntnis abgelegt: Er hat Henzes Werk begeistert gerühmt und den bleibenden Wunsch artikuliert, mich um seine Musik zu kümmern, sie so schön oder aufwühlend wie möglich zum Klingen zu bringen. Dabei hatte er auch die Macht der 7. Sinfonie und die Blaue Stunde am Schluss der LUpupa-Oper im Blick. Nun belegt diese faszinierende Aufnahme mit dem souverän und überwältigend musizierenden Gürzenich-Orchester Köln erneut das Engagement und die Meisterschaft des Henze-vertrauten Dirigenten, die Eigenarten und Facetten der Werke und den ästhetischen Eigensinn des Komponisten in aller Fülle und Attraktivität darzustellen: Henze als Sinfoniker, Musikdramatiker, Musikpoet; Henze als politischer Komponist und Schönheitssucher.
Mit der Siebten hat er 1983/84 nach 15 Jahren und erheblichen Zweifeln an der Tauglichkeit der Gattung für die Gegenwart und in deutlicher Distanz zum antibürgerlichen Komponieren und zum Revolutionsfanal seiner Cubanischen Sinfonie zur klassisch-romantischen Tradition zurückgefunden. Beethoven nimmt er zum Vorbild (und kehrt ihn um); Dodekafonie nutzt er weiterhin; Hölderlin wählt er als Sujet und das künstlerische Subjekt im Mahlstrom des Daseins wird zum Thema. Henze bringt auch sich ein die schrecklichen Zustände von Verlassenheit, Rückhaltlosigkeit und Verdammnis und fasst zudem das größte Dunkel seines Zeitalters eindrucksvoll und bedrängend in Töne. Direkt: mit der seelenlosen Mechanik und der Volkslied-Persiflage im 3. Satz, der jene Foltergeräte vorführt, die Hölderlin in der Tübinger Nervenklinik heilen sollten; und im Finale mit der instrumentalen Vertonung des Gedichts Hälfte des Lebens, dessen Bilder von holden Schwänen und eisig klirrenden Fahnen die schöne Elegie in ausweglose Stille drängen. Vermittelt: mit unablässigem Variieren, sanftem Singen, rhythmischen Energien und wilden Ausbrüchen im ersten Satz und im zweiten mit Musik von einer Düsternis, wie ich sie in diesem Maße noch nicht gekannt oder noch nicht schriftlich hatte festhalten können.
Den deutschen Zuständen, von denen Henzes Schlüsselwerk handelt, stellt seine Serenade Lheure bleue (2001) die Atmosphäre und die raffinierten Farben eines mediterranen Sonnenuntergangs gegenüber, der die Welt wunderbar friedlich verwandelt. Die Sieben Boleros für großes Orchester (1998) befreien die Musik aus ihrer dienenden Opern-Rolle (Venus und Adonis) als brillante, rhythmisch effektvolle Charakterstücke vermitteln sie nun spanisches Kolorit und die Grußbotschaft an ein fernes, wundersam schönes Land, von dem wir Ausländer so wenig wissen, dass wir andauernd davon träumen. Henzes letztes Werk, die Ouvertüre zu einem Theater für großes Orchester, entstand zur 100-Jahrfeier der Deutschen Oper Berlin. Dort hatte sein Schaffen auch einen Anfang genommen und sieben Tage vor seinem Tod am 27. Oktober 2012 wurde das schwungvolle und klangreiche Stück zum Abschiedsgeschenk
Eberhard Kneipel