Tschaikowsky, Pjotr Iljitsch

Das Jahr 1812

Festouvertüre für großes Orchester

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2012
erschienen in: das Orchester 09/2013 , Seite 72

Wen bereits prägnante Partiturbilder ästhetisch ansprechen, den wird die vorliegende Neuausgabe, der „Urtext“ von Tschaikowskys berühmtem Tongemälde Das Jahr 1812, sogleich erfreuen. Herausgegeben von Polina Vajdman, ist das Druckbild von größter Klarheit, wirken die einzelnen Partiturseiten nirgendwo überfrachtet.
Hintergrund des Werks, das am 8. August 1882 zum ersten Mal in Moskau erklang, war eine nationale Feier zum Gedenken an den russischen Sieg über Napoleon im Jahr 1812. Bekanntlich war damals eine riesige französische Armee, erweitert um ausländische Hilfstruppen, bis nach Moskau vorgedrungen, das zur Abwehr der Aggressoren in Flammen aufging: Ergebnis war eine verheerende französische Niederlage.
Teil der Gedenkfeier sollte die Einweihung des prächtigen „Christ-Erlöser-Doms“ sein, an dem man in Moskau fast fünfzig Jahre gebaut hatte. Des Weiteren sollte eine „Gesamtrussische Kunst-und Industrieausstellung“ ihre Tore öffnen. In dieser Situation wandte sich der Verleger Petr I. Jurgenson an Tschaikowsky, um ihn für eine Festkomposition zu gewinnen. Ihn unterstützte Nikolaj Rubinstejn, der musikalische Oberleiter der Gedenkveranstaltung; dieser wies darauf hin, man dürfe das bevorstehende Fest nicht allein der Militärmusik überlassen. Der bedrängte Komponist wandte sich darauf am 28. September 1880 an seine Mäzenin Nadezda von Meck und bekannte: „Mir ist nichts widerwärtiger, als etwa um irgendeiner Feier willen zu komponieren […] Was kann man schreiben anlässlich einer Ausstellungseröffnung außer Banalitäten und lärmenden Gemeinplätzen? Dennoch wage ich nicht, die Bitte abzuschlagen.“ (Vorwort).
Schon bald war die Komposition abgeschlossen: Ein riesiges symphonisches Stück unter Einschluss von Glocken, einer fakultativen Militärkapelle („Banda“) sowie Instrumenten, mit denen sich Kanonenschläge („colpi di canoni“) nachahmen ließen. Das Ganze folgte der Tradition
der „Schlachtengemälde“, erinnerte etwa an Beethovens Wellingtons Sieg. Dementsprechend nutzte Tschaikowsky auch die bewährte Methode, die gegnerischen Parteien, also Russen und Franzosen, mit eigenen Themen zu belegen, darunter die wirkungsvolle Marseillaise, welche historisch freilich nicht in die kaiserlich-napoleonische Zeit passte. Trotz aller Bedenken Tschaikowskys machte das Werk bald seinen Weg durch die Konzertsäle; dies belegen die beachtlichen Verkaufszahlen von Partituren und Orchestermaterial.
Die Drucklegung der Partitur und der – von Tschaikowsky selbst erstellten – Klavierauszüge für zwei und vier Hände erfolgte bereits im Mai 1882, also noch vor der Uraufführung; der Komponist sah dabei selbst die drei Korrekturgänge durch. Der vorliegende „Urtext“ führt die greifbaren Quellen zusammen und belegt dies in einem ausführlichen Revisionsbericht.
Albrecht Goebel

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