Bodendorff, Werner

Gehör-Gänge

Erzählungen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg 2012
erschienen in: das Orchester 07-08/2012 , Seite 70

Ein Buch für den Musikfreund, vor allem für den Orchestermusiker, denn hier geht es um Musik in ihrer instrumentalen Form und um die Menschen, die sie gemeinsam hervorbringen. Sie sind bestrebt, sie auf hohem Niveau zu produzieren mit Lust und Freude, natürlich auch mit Ehrgeiz, aber auch in bewusster Konkurrenz zu Kollegen, denn dieses Verhältnis ist nicht immer ungetrübt.
In seinem Buch Gehör-Gänge demonstriert Werner Bodendorff seine innige Vertrautheit mit den Gepflogenheiten in deutschen Klangkörpern, in denen lauter Individualisten sitzen. Wer sich auf diesem Sektor etwas auskennt, hat seine reine Freude an dem hohen Wiedererkennungswert, den die einzelnen Episoden bei ihm auslösen. Da erfährt man viel über die Hierarchie der Saiteninstrumente vor den Bläsern und wird auch belehrt über die Konkurrenzgefühle der Blechbläser gegenüber den Holzbläsern (und umgekehrt). Vom häufig grassierenden Alkoholismus in den Ensembles ist die Rede, von Nebeneinnahmen und Beziehungskisten. So sollen Ehen zwischen Oboe und Violine mit Sicherheit scheitern, auch Bratsche und Schlagzeug gelten als unmögliche Konstellation. Um seine Theorien zu untermauern, gräbt der Autor tief in den Urgründen der Mythologie. Schließlich habe der Bläser Marsyas höchst folgenreich Apollo mit der Lyra herausgefordert. Das schreckliche Ende kennt jeder. Falls nicht: Apollo siegte, weil er auch auf seinem umgedrehten Instrument spielen konnte. Dem bedauernswerten Marsyas, dem das mit seinem Aulos nicht gelang, wurde zur Strafe bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.
Bodendorff kennt sich ausmit den Gepflogenheiten im Orchester wie auch mit den Werken der Komponisten, den Partituren und ihren heiklen Stellen, Intonationen und Techniken. Ihm sind die Bratscherwitze ebenso bekannt wie die Frotzeleien, denen die Hornisten ausgesetzt sind, und dass beim Après eines Konzerts erst einmal über die Kollegen hergezogen wird, gehört gleichfalls zum berufsbedingten Ritual. Neben dem unverzichtbaren Probespiel – „Ist das erst einmal gelungen, sitzt der Musiker unkündbar auf seinem Stuhl bis zu seiner Pensionierung“ – werden auch Triebfedern wie Geld, Macht oder Ehrgeiz des professionellen Musikers erwähnt.
Aber Bodendorff übt nicht nur ironisch Kritik, sondern versteht auch die interpretatorischen Fähigkeiten eines Instrumentalisten blumenreich zu beschreiben, seinen intonationssicheren Ton oder seine elaborierte Technik. Dazu versteht er fantasiereich zu fabulieren, denn die Eingangsgeschichte einer im Suff geborenen Wette – ein Bläser wollte „stockbesoffen“ ein Hornkonzert mit einem ihm bis dahin unbekannten Orchester spielen – ist allzu bizarr. Vergnüglich zu lesen ist sie allemal und amüsant sind auch die übrigen Erzählungen.
Heide Seele

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support