Heinemann, Michael / Kristel Pappel (Hg.)
Oper mit Herz
Das Musiktheater des Joachim Herz. Bd. II: Zwischen Romantik und Realismus. Bd. III: Musiktheater in der Gegenwart
Sachverstand, Weitblick, Passion: Dies alles kann man dem Theatermann Joachim Herz ohne mit der Wimper zu zucken bescheinigen aber darüber verfüg(t)en auch etliche Berufskollegen, ältere wie jüngere, Wessis wie Ossis. Nein, dass der Autor dieser hier gesammelt abgedruckten Programmhefttexte, Vorträge, Kommentare und Briefe über die nötige Qualifikation verfügt, versteht sich von selbst.
Was die Schriften des Dresdner Opernregisseurs und Intendanten Joachim Herz zugleich eint wie auszeichnet, ist die sympathische Subjektivität. Schon beim ersten Beitrag des letzten Bandes (standesgemäß interessiert einen die Gegenwart spontan am meisten) wird man zunächst fasziniert, dann gefesselt und schließlich begeistert ob der ehrlichen Menschlichkeit, die aus diesen Worten spricht. Ein hochangesehener Kunstschaffender erinnert sich an seine Anfänge in der jungen DDR. Armut, Zerstörung, ideologische Verunsicherung überall, und mittendrin junge Dresdner Studenten, mutig, unverstellt, bereit, für die Kunst und ihre Verwirklichung jedes Opfer einzugehen: Wenn im Winter die Temperaturen mal so tief fielen, dass nicht nur die Hochschule nicht mehr geheizt werden konnte, sondern auch keine Bahn mehr fuhr, dann pilgerten wir von einem Lehrer zum anderen, und wer kein Klavier mehr hatte von wegen ausgebombt, der saß bei friedlichen Temperaturen sowieso des Morgens 7.00 Uhr in der Hochschule an einem der Flügel und übte.
Solch ein Auftritt macht neugierig und wirklich, unweigerlich wandert der Leser von einem Kapitel zum nächsten, will zu jedem erwähnten Stück (es sind derer genug!), zu jedem Komponisten (deren Aufzählung gereicht einem Opernlexikon zur Ehre) und zu jeder Inszenierung die Deutung und Sichtweise dieses Mannes erfahren, der keine Szene bedient, keinem Starkult huldigt und von Seite zu Seite wird deutlicher: Hier ist ein wahrer Humanist am Werk. Einer, der stets den Menschen ins Zentrum seiner Arbeit stellt (auch in Bezug auf die Mitwirkenden, seien es Sänger oder Bühnenarbeiter). Wenn Joachim Herz die Zitate original-
getreu auf Altgriechisch schreibt und die Studentenpartys etymologisch korrekt als Fêten benennt, dann wird einem ganz wehmütig ums Herz: Was ist doch unsere moderne Sprache arm und farblos geworden!
Das Herz, so sagen die Humanisten, verbindet den Kopf mit dem Bauch und ermöglicht dadurch erst die Menschlichkeit. Die Menschlichkeit ist es doch, die wir in der Kunst erfahren wollen Mitfühlen, Mitleiden, Mitfreuen! In diesen Texten ist das möglich, weshalb die Sammlung selbst ein Kunstwerk ist, das den Helden, der das Herz im Namen trägt, unsterblich macht: Ich will Sie nicht weiter aufhalten mit solchen Dingen, mit solcher Prosa, die uns natürlich kein Hindernis waren; im Hürdenlauf waren wir trainiert, und das Maul gehalten haben wir, soweit ich mich erinnere, eigentlich nie.
Sibylle Kayser


