Glinka, Mikhail / Daniel Schnyder

Cosmopolitan

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 12232
erschienen in: das Orchester 05/2012 , Seite 79

Man muss bei anderen reinhören, um eigenen Stil zu entdecken. So lautet die musikalische Hauptbotschaft von Cosmopolitan, der ersten CD des Trio Elego, das in der Besetzung Klarinette, Fagott und Klavier drei Werke Mikhail Glinkas weiteren drei Werken des 1961 in Zürich geborenen Daniel Schnyder gegenüberstellt. In den Œuvres beider Komponisten ging bzw. geht es ums Kosmopolitische.
Glinka, der musikhistorisch als der Begründer der klassischen Musikkultur Russlands im 19. Jahrhundert gilt, hatte eine Mission: Die heimatliche Folklore wollte er mit der Tonkunst der Westeuropäer verbinden. Glinka unternahm Reisen in die modernen Städte der industrialisierten Länder, nicht zuletzt als Inspirationsquelle. Auf der CD ist das Trio Pathétique in d-Moll von 1832 mit aufgenommen. Entgegen Glinkas ursprüng-
licher Besetzungsidee wird das Werk oft mit Cello anstatt Fagott gespielt. Doch Philipp Zeller am Fagott vertraut zurecht auf Glinkas „Original“. Melodiebögen werden wunderbar phrasiert. In der Bassbegleitung klingt das Fagott mal schalkhaft, mal versöhnlich, sodass der insgesamt durch die Holzbläserfarbe dominierte Trioklang rund und stimmig wirkt.
Mit Besetzungsfragen lässt sich spielen. Das ist eine weitere Botschaft der CD. Glinkas Elegie, ursprünglich für Gesang komponiert, sowie dessen Allegro moderato, das eigentlich eine Bratschensonate werden sollte, sind vom Trio bzw. Fagott und Klavier (Isabel von Bernstorff) eingespielt. Sehr präzise ausgearbeitete Kammermusik, liebenswert und charmant. Wie viel von Russlands musikalischer Zukunft konnte Glinka hier hineinpacken?
Mit Schnyders Werken wirft das Trio Elego jedoch die interessantere Frage auf: Wie klingt das Trio, wenn ein Zeitgenosse komponiert, der den großen Musikkanon von Alter Musik bis großer Oper, von Bach bis Swing, von Schubert bis Jazz kennt? Schnyder, der in New York lebt, komponiert mit der Verantwortung des musikalischen Kosmopoliten. In der Suite Worlds Beyond wird eine heiße ruckartige Rhythmik vorgelegt, die bald auf lang gezogene Artikulationsbögen trifft. Es stoßen musikalische Welten aufeinander, was den Interpreten von Schnyders Werken enorm flexible Spielweise abverlangt. Antonia Lorenz verwirklicht Schnyders Ideen großartig. Die Klarinette – sich zwischen Klassik und Jazz bewegend – reckt sich mal geradlinig aufrecht, mal torkelt sie mit Glissandoschmiere abwärts. Auch hier schafft die Holzbläserfarbe einen einheitlichen, harmonischen Trioklang, der auch im flinken Satz, der im 7/16-Takt komponiert ist, durchweg stimmig und mit beneidenswerter Präzision gehalten wird.
Die Sonate für Klarinette und Klavier hatte Schnyder ursprünglich für sich als Saxofonist geschrieben, wohingegen sie heute oft von Oboe, Fagott oder eben – wie auf der CD zu hören – von der Klarinette gespielt wird. Der Komponist selbst sieht es – wie im Booklet zu lesen – eher locker mit Besetzungsfragen und noch lockerer, quasi schon lose Gedankensammlung, sind seine Erklärungen zum letzten Titel Baroquelochness: Die Trio-Sonate kreuzt Barockformen mit dem Gurgeln des Monsters von Loch Ness. Das ist natürlich total verrückt. Aber auch kosmopolitisch.
Sven Scherz-Schade

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support