Wagner, Richard

Götterdämmerung / Die Walküre

je 4 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classic OC 928, 936
erschienen in: das Orchester 05/2012 , Seite 76

Da teure Studioproduktionen offenbar nicht mehr zu bezahlen sind, haben Ring-Livemitschnitte der Opernhäuser Hochkonjunktur. Gleich zwei Ring-CD-Editionen aus Frankfurt und Hamburg sind momentan im Entstehen. So wie Regisseurin Vera Nemirova in ihrer Frankfurter Walküre im wahrsten Sinn des Wortes zeitlose Scheiben- und Ringästhetik à la Wieland Wagner reanimiert, kreist Sebastian Weigles Dirigat vor allem um das Leitmotivsystem des mythopoetischen „Musikdramas“. Er produziert viele „schöne Stellen“, aber dazwischen ist auch viel Leerlauf. Das musikalische Drama bleibt auf der Strecke. Immerhin gesanglich kann diese Produktion punkten. Eva-Maria Westbroek singt eine sympathische, wortverständliche, warm timbrierte Sieglinde, Frank van Aken überzeugt als Siegmund mit jungheldischem Tenor, der Bassist Ain Anger ist als Hunding ohne Tadel. Terje Stenvolds etwas nasal eingefärbtem, stimmlich etwas zu kleinwüchsigem Wotan gelingen zwar die langen Erzählungen, doch seinem Göttervater mangelt es an Autorität und Kraft. Weit überzeugender ist die vorzügliche Mezzosopranistin Martina Dike als Göttergattin Fricka. Susan Bullock singt eine natürliche Brünnhilde, die alle Lagen, ob „Hojotoho“-Rufe oder Todverkündigung, mit großem, gut geführtem und klangschönem hochdramatischen Sopran meistert. Auch die Walkürenschar überzeugt. Schade nur, dass Sebastian Weigle das anständig spielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu nicht mehr als einer braven, ja biederen Wiedergabe ausgerechnet des Paradestücks der Tetralogie über der Welt Anfang und Ende animieren konnte.
Da gibt sich Simone Young am Pult der Hamburger Götterdämmerung doch als weit temperamentvollere, auch erfahrenere Wagner-Dirigentin zu erkennen. Mit Verve und Klangfarbensinn treibt sie die Hamburger Philharmoniker zu einer wesentlich feurigeren Wagner-Interpretation an.
Dafür sind die sängerischen Defizite ihrer Produktion unüberhörbar. Schon von der Nornenerzählung zu Beginn des gut vier Stunden dauernden Werks versteht man kaum ein Wort. Aber auch Deborah Polaski offenbart als Brünnhilde, dass ihre Stimme weit über ihren Zenit ist. Auch Christian Franz als Siegfried ist kein Hörgenuss. Auch er schummelt sich mit technischen Tricks und Notenungenauigkeiten durch die Partie. John Tomlinson als Hagen singt nur noch mit den Resten seiner Stimme. Immerhin, der Alberich von Wolfgang Koch und die Waltraute von Petra Lang haben Format. Doch insgesamt offenbart diese Hamburger Götterdämmerung auf deprimierende Weise die „Götterdämmerung“ des gegenwärtigen Wagner-Gesangs. Dass Wagners Ideal ein „deutscher Belkanto“ war (und im Belcanto schreit man nicht), dass es ihm auf Notengenauigkeit und Wortverständlichkeit mehr als auf Lautstärke ankam, scheinen Dirigenten und Sänger heute kaum mehr zu wissen. Ist aber alles bei Wagner nachzulesen!
Dieter David Scholz

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