Rindler, Haino
Spürst du schon was?
Musik als Droge
“Musik wird oft nicht schön empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.” In diesem oft gebrauchten Zitat von Wilhelm Busch stecken mehrere Wahrheiten. Eine ist, dass es eine innere Musik gibt, die keinen stören kann, weil man sie nur selbst hört: ein Rhythmus, der uns durchflutet, uns antreibt, dem wir manchmal pfeifend Ausdruck geben. Musik bewirkt etwas in uns, soviel steht fest. Kanadische Neurowissenschaftler haben nachgewiesen, dass der menschliche Körper auf angenehme Musik mit der Ausschüttung von Dopamin reagiert also jenes Freudenhormon, das auch für das Wohlgefühl bei einem guten Essen oder beim Sex verantwortlich ist. Ob Musik gezielt unser Bewusstsein von außen beeinflussen kann, darüber sind die Wissenschaftler uneinig. Ist Musik eine Droge? Die Antwort aus dem Internet lautet: Ja, sie ist es! Auf der Seite www.i-doser.com wird die digitale Droge als “absolut wirksicher” und völlig legal angeboten. Auf www.youtube.com kann man Konsumenten bei der Einnahme dieser mp3-Drogen beobachten: Zuckungen, Ekstase, Euphorie, Erschöpfung
Die Droge aus dem Kopfhörer Binaurale Beats
Das Prinzip der Binauralen Beats ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt: Zwei Töne mit geringem Frequenzabstand überlagern sich und verursachen im Gehirn eine Schwebung, die als Beat wahrgenommen wird. Je nach Frequenzabstand korrespondieren diese Beats mit den Hirnwellen, beeinflussen sie und führen zu bestimmten Effekten: Entspannung, Anregung und Ähnliches. Eine Studie aus dem Jahr 2000 von Brian Brady und Larry Stevens sollte das anhand von Versuchspersonen bestätigen; das Ergebnis war aber mehr als zweifelhaft, wie der Musikpsychologe Christoph Reuter findet: Die Stichproben und die Effekte waren viel zu gering, um irgendeinen Aussagewert zu haben, und die dort verwendeten Stimuli waren bei Weitem keine Musik, wie man sie zum Beispiel bei den i-doser- Angeboten hört. Das Ganze ist mehr oder weniger wohl eine Marketingstrategie, in der ausgenutzt wird, dass die Macht der Musik von vielen Menschen überschätzt wird.1 Die Macht der Musik seit Jahrhunderten wird sie für kultische Zwecke ausgenutzt. Das gilt insbesondere für die Trancekultur: Mittels Musik, Rhythmus und Tanz begeben sich Menschen in einen Schwebezustand zwischen Diesseits und Jenseits, meistens als kultische Einzelhandlung mit religiösem Hintergrund, bisweilen aber auch im Kollektiv, um einen gemeinschaftlichen Rausch herzustellen. Doch welche Elemente in der Musik verursachen Trance oder Ekstase? Tranceinduzierende Eigenschaften lautet der Begriff, der in der Literatur meist oberflächlich gebraucht wird. Doch was steckt dahinter? Christian Kaden ist Musikwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin. Ihm zufolge werden Trancezustände ausgelöst durch große Lautstärken, durch sich steigernde oder monoton gleich bleibende Tempi und durch zunächst weniger auffällige Elemente: In Indonesien kenne ich Beispiele aus Sumatra, wo man eine Laute hat, die gegenüber der sonstigen Stimmung der Blas- und Schlaginstrumente ein kleines bisschen verstimmt ist. Eine Schwebung drüber oder drunter. Und dann wird im Laufe der Zeit so eine Laute immer lauter angeschlagen. Dadurch wird die Verstimmung größer. Das heißt, es werden systemische Regularitäten interferiert. Es kommt zu einer kleinen Überlagerung; und man weiß das ja aus der Schwingungslehre auch: Interferenzen können dann plötzlich ganz große Amplituden erzeugen. Also es kommt zu seelischen Krisenerscheinungen.2
Zwei Kulturen, ein Prinzip: Techno und Trance
Obwohl Trance-Veranstaltungen meistens einen kultischen Hintergrund besitzen, finden sich erstaunliche Parallelen zum Trance- Phänomen bei Technopartys bis hin zu einer ähnlichen Raumaufteilung und Abläufen, wie sie im brasilianischen Candomblé-Kult zu finden sind. Christian Kaden: Man hat Vorbereitungsräume, wo diese initiierten Frauen angezogen werden, damit sie sich erstmal schon anders fühlen, damit sie bereit sind, in die Trance zu kommen. Dann gibt es dieses Öffentliche, einen großen Raum, wo auch Publikum dabei ist. Dann werden sie umgezogen, und wenn sie ihre Kraft verteilt haben, dann gehen sie wieder zurück. Das wäre im Technoclub der Chillout-Room.3 Namito, seit 20 Jahren Techno-DJ und Musikproduzent, sagt, um eine drogenähnliche Wirkung von Musik zu erreichen, komme es nicht darauf an, ob man einen schnelleren oder langsameren Beat zugrunde lege. Es gehe vor allem um monotone Wiederholung: Wenn man eine bestimmte Bewegung immer wieder wiederholt beim Tanzen da braucht man gar keine Drogen , erreicht man diesen Zustand. Wahrscheinlich kennt man das auch vom Joggen, dass man irgendwann Glückshormone freisetzt. Das hat einfach mit einem langen, geduldsamen Tanzen zu tun. Und dann kommt man auch in einen Zustand, der sehr an Drogen erinnert. Und das Gute ist, es ist ohne Nebenwirkungen 4
Musikdrogen in der Musikgeschichte
Das Prinzip ständiger Wiederholung findet sich in der Musikgeschichte des Öfteren. Hier sind nicht nur die Minimalisten wie Steve Reich oder Michael Nyman zu nennen. Auch Erik Satie experimentierte mit sich wiederholenden Perioden. Etwa in seiner Komposition Vexations, die 1893 entstand: ein Thema und zwei Variationen, die laut Vorgabe 840 Mal wiederholt werden sollen. Die # lyse des Werks zeigt, dass es keinen klaren Grundton gibt. Satie arbeitet mit Viertel- und Achtelnoten, der Melodieverlauf ist durch zahlreiche Sprünge gekennzeichnet. Die Musik befindet sich in einem Schwebezustand, die rhythmische Bewegung ist gleichförmig. Es gibt kein Vor und kein Zurück ein Kreislauf, der dort beginnt, wo er aufgehört hat. In einem Brief von 1920 knüpft Satie an diese Komposition an, wenn er schreibt: Wir nun wollen eine Musik einführen, die die nützlichen Bedürfnisse befriedigt. Die Kunst gehört nicht zu diesen Bedürfnissen. Die Musique dameublement erzeugt Schwingungen; sie hat kein zweites Ziel; sie erfüllt die gleiche Rolle wie das Licht, die Wärme & der Komfort in jeder Form.5 Saties Musique dameublement sollte sich im Hintergrund halten, ohne sich aufzudrängen. Sie sollte die peinlichen Pausen einer stockenden Unterhaltung füllen, ohne von der eigentlichen Unterhaltung abzulenken. Sie sollte ein unterbewusster Impulsgeber sein.
Wer nie ,Musique dameublement gehört hat, kennt das Glück nicht.6
Bisweilen wurden die Vexations von Historikern als dadaistischer Scherz abgetan. Doch Satie beliebte hier nicht zu scherzen, sondern war sich über die unterbewusst stimulierende bzw. meditative Wirkung seiner Musik durchaus im Klaren. Musikwissenschaftler Reinhard Kopiez hat im Rahmen einer Studie über die Wirkung von Musik auch die Aufführbarkeit der Vexations untersucht. Dabei fragte er den Pianisten Armin Fuchs nach seinem Zustand während des Spielens: Bei den letzten beiden Aufführungen ist mir etwas Merkwürdiges passiert, nämlich, dass sich die Erfahrung des Raums aufgelöst hat. Das heißt, die Perspektive ging verloren, wenn ich entspannt geradeaus geblickt habe ein Zustand, als wenn alle Objekte durchsichtig gewesen wären oder sich gegenseitig durchdrungen hätten, ohne sich zu stören. Eine wirkliche meditative Erfahrung. 7
Erleben von Schönheit
Musik ist nicht nur die komplexeste Kunstform, sie ist auch diejenige, die uns am unmittelbarsten berührt. Am augenscheinlichsten ist dieses Ergriffensein, wenn ein Stück unseren Körper so erfasst, dass wir uns unweigerlich dazu bewegen. Die Macht der Klänge liegt darin, wie der kalifornische Wissenschaftsjournalist Robert Jourdain schreibt, dass Klänge sich zeitlich entwickeln, dass sie sich bewegen. Musik erreicht unser Ohr und bewirkt im Gehirn einen Strom von Antizipationen, durch den wir Melodie, Harmonie, Rhythmus und Form mit Sinn erfüllen.8 Damit knüpft Musik an die tiefsten Intentionen unseres Denkens an, das letztlich immer Bewegung zur Folge hat. Im Falle der Ekstase, wie sie Alexander Skrjabin in seiner Poème de lextase darstellt, versetzt uns Musik in eine Stimmung tiefster Befriedigung. Sie katapultiert uns auf eine Erfahrungsebene, die wir im täglichen Leben kaum erklimmen. Sie spiegelt den Zustand perfekter Ordnung einen Zustand, den es im Alltag so nicht gibt und den wir als schön bezeichnen. Insofern entsteht Schönheit also erst im Kopf vergrößert sich mit steigender Komplexität. Ausschlaggebend ist der Beziehungsreichtum, den eine Musik zulässt.
Die Farben der Zeit
Man versteht die Musik Olivier Messiaens am besten, wenn man sich bewusst macht, dass Messiaen ein genuiner Synästhetiker war, das heißt in seinem Fall, dass er innerlich Farben sah, wenn er Musik hörte. Tonkomplexe und Akkorde nahm er als Farbkomplexe wahr, und zwar immer gleich. Seine detaillierten Beschreibungen (z. B. Präriegrün und Beige mit blauen und roten Sprenkeln) kann der normale Hörer kaum nachvollziehen, zumal Synästhesien sehr individuell sind. Die rauschhafte Farbigkeit der Musik teilt sich jedoch ohne Weiteres mit. Der Hörer soll, so Messiaen: Offenen Herzens ins Konzert kommen, ohne Abneigung gegen den Komponisten; dann die Natur lieben, sie in all ihrem Äußeren annehmen: Töne wie Farben, Farben wie Düfte, und vielleicht auch musikalisch mitdenken, sodass es ihm möglich wird, in dieser scheinbaren Unordnung eine verborgene Ordnung zu entdecken.9 Messiaen erkannte das Rauschhafte der Musik in einer übergeordneten Dimension, die sich als Farbordnung darstellte. Komponisten anderer Generationen waren sich der rauschhaften Wirkung von Musik ebenfalls bewusst. Es ist eine Tatsache, dass sich in der gesamten Musikgeschichte Beispiele für Trance induzierende, bewusstseinserweiternde Musik finden lassen. Etwa bei Richard Wagner, dessen flirrender Feuerzauber in der Walküre die Transzendenz, das Hinübergleiten in eine andere Welt beschreibt. Oder Strawinskys Frühlingsopfer, dessen stampfende Rhythmik und permutierende Melodik mit dem Prinzip der Wiederholung Raum und Zeit zu einer Einheit verschmelzen lässt. Oder aber Franz Schubert, der in seinen Sinfonien musikalische Flächen komponierte, die den Reiz von Kippfiguren haben was Figur war, wird Grund, was Grund war, Figur. Musik kann im höheren Sinn bewusstseinserweiternd wirken. Ob sie auch im tatsächlichen Sinn als Droge bezeichnet werden kann, muss allerdings bezweifelt werden. Christian Reuter: Musik kann unser Bewusstsein auf vielfältige Weise beeinflussen. Indem sie auf ähnlichem Weg wie die Sprache verarbeitet wird, wirkt sie sehr unmittelbar, besonders auf unsere emotionale Verfassung, auf unseren Hormonhaushalt und auf unser Immunsystem. Die Wirkung von Musik ist jedoch stark hörerabhängig. Selbst wenn eine Musik die besten Voraussetzungen erfüllt, um zum Beispiel tranceinduzierend zu wirken, wird sie einen Hörer oder eine Hörerin nie in Trance versetzen, wenn sie oder er es selbst nicht möchte. Also wie stark Musik auf unser Bewusstsein einwirkt, hängt im Grunde davon ab, wie sehr wir uns auf sie einlassen.10 <
1 Christoph Reuter, Fachbereich Systematische Musikwissenschaft der Universität
Wien, persönliches Interview, geführt vom Verfasser, Wien, März 2011.
2 Christian Kaden, Fachbereich Musiksoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin, persönliches Interview, geführt vom Verfasser, Berlin, März 2011.
3 ebd.
4 Namito, DJ und Musikproduzent, persönliches Interview, geführt vom Verfasser, Berlin, Mai 2011.
5 Brief vom März 1920, zit. nach: Ornella Volta: Satie/Cocteau. Eine Verständigung in Mißverständnissen, Hofheim 1994, S. 124.
6 ebd.
7 www.musicweb.hmt-hannover.de/satie/Vex-Text.pdf
8 Robert Jourdain: Das wohltemperierte Gehirn: Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt, Heidelberg 1998, S. 397.
9 Aloyse Michaely: Die Musik Olivier Messiaens, Untersuchungen zum Gesamtschaffen, Hamburg 1987, S. 326.
10 Reuter, a. a. O.

