Bruckner, Anton
Sinfonie Nr. 1
Urfassung 1865/66 ("Linzer")
Sein keckes Beserl nannte Anton Bruckner seine 1. Symphonie und bezog sich damit wohl auf die zahlreichen vor Vitalität sprühenden, teils geradezu ironisch kecken Themen und Motive darin. Auch von dieser Symphonie des Komponisten existieren zwei Versionen, und auf dieser neuen SACD mit den Philharmonikern Hamburg unter Simone Young ist die Urfassung (Linzer) von 1865/66 zu hören.
Young wählt im Vergleich zu anderen Dirigenten recht getragene Tempi, was freilich auch daran liegen mag, dass es sich hier um eine Liveaufnahme handelt, also die Raumakustik berücksichtigt werden musste.
So weist die CD auch ein hohes Grundrauschen auf, außerdem einen etwas halligen Klang was einerseits für Bruckners Musik, die man ja auch gerne in Kirchenräumen aufführt, günstig ist, in diesem Fall aber andererseits einen leicht dumpfen Orchesterklang generiert, der auf Kosten der Durchsichtigkeit geht.
Diese jedoch leidet auch unter der Balance innerhalb des Orchesters: Zwar sind die Streicher offenbar reichlich besetzt, doch dominieren die Blechbläser gerade an Fortestellen so stark, dass von den Streichern nur mehr wenig, von den Holzbläsern eigentlich gar nichts mehr zu vernehmen ist. Insgesamt verfügt das Orchester denn auch über eine enorme dynamische Bandbreite vor allem im Fortebereich, geht auch vom Piano immer wieder gerne und sehr schnell ins Forte über, spielt entschieden und präsent. Was auf der Aufnahme (vor allem im SACD-Modus) sehr gut wirkt, ist die Positionierung der ersten und zweiten Violinen zu beiden Seiten der Dirigentin: Dadurch gewinnen Bruckners oft von einem Register ins andere übergehende Linien eine wunderbare Plastizität und der Hörer erhält insgesamt einen räumlicheren Eindruck der Musik.
Hinsichtlich der Agogik konzentriert sich Young vor allem auf größere Abschnitte. Teilweise stehen die Tempobeschleunigungen und -verzögerungen in der Partitur, teilweise entspringen sie Youngs interpretatorischen Ideen und wirken auch mal etwas unmotiviert, verwirren gar gelegentlich, wenn sie plötzlich in längeren musikalischen Gedankengängen auftauchen. Außerdem aber zeugen sie auch von großem Temperament und Engagement für die Musik, verleihen der Aufnahme Lebendigkeit und zeigen daneben, wie prompt und flexibel das Orchester reagiert, das jederzeit konzentriert mitgeht, gut zusammenspielt.
Eher wenig musikalischer Gestaltungswille ist dafür in kleineren Phrasen oder kurzen Motiven zu spüren: Hier werden sowohl von Solisten wie auch ganzen Stimmen zu oft einfach Noten gespielt, ohne diese durch dynamisch-agogische Gestaltung in einen spannenden Zusammenhang zu setzen und wirklich auszukosten. Das lässt die Interpretation recht unemotional erscheinen; doch freilich gleicht die dadurch entstehende Klarheit ein Stück weit die durch Akustik und Besetzung beförderte Undurchsichtigkeit aus.
Ein durchaus temperamentvoller Bruckner also, dem aber dennoch immer eine gewisse hanseatische Kühle aneignet.
Andrea Braun


