Elgar, Edward

Violinkonzert h-Moll op. 61/Salut d’Amour op. 12/Offertoire op. 11

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berlin Classics 0300429BC
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 69

Die triumphale Uraufführung, die Fritz Kreisler – der große amerikanische Geiger österreichischer Herkunft – dem ihm gewidmeten Violinkonzert 1910 in der Londoner Queen’s Hall bereitete, stärkte Elgars Stellung im englischen Musikleben und festigte seinen Ruf als führender Komponist des Inselreichs. Auf dem Kontinent allerdings, wo sich in Mahlers Symphonien ein neues, disparates Weltgefühl Bahn brach, wirkte der romantische Überschwang des Werks gestrig. Verglichen mit den Violinkonzerten von Glasunow und Sibelius, die um die gleiche Zeit entstanden, erschien es vielen Geigern überdies zu monumental. Mit 50 Minuten Spieldauer ist es tatsächlich ungewöhnlich lang. In den Ecksätzen ist der Solist durchgängig enorm gefordert.
Geschmackliche Einwände, wie sie etwa Hans Engel 1974 in seinem Handbuch zum Instrumentalkonzert erhob (das Andante sei „melodisch reichlich süßlich“ und der dritte Satz „in seinem Glanze ein wenig äußerlich“), verflüchtigen sich allerdings, wenn sich heute im Zeichen ästhetischer Toleranz junge Musiker dieses Konzerts annehmen: Interpreten, die spieltechnisch, musikalisch und intellektuell befähigt sind, dem Komponisten „auf Augenhöhe“ zu begegnen. Wie die kanadische Geigerin Catherine Manoukian und der schwedische Dirigent Stefan Solyom, die ausgerechnet in der deutschen Klassikerhochburg Weimar zueinander fanden. Wo ihnen eine nachhaltige Rehabilitierung des Werks gelang, die der vorliegende Livemitschnitt aus der Weimarhalle in bezwingender Unmittelbarkeit dokumentiert. Ein Ruhmesblatt auch für die Staatskapelle.
„Der stete Energiefluss, der an diesem besonderen Abend zwischen Musikern und Publikum entstand, ist auch beim Nachhören förmlich mit Händen zu greifen“ – der Werbetext auf der Cover-Rückseite hat (ausnahmsweise) recht.
Die Kanadierin – Tochter eines professionellen Geiger-Ehepaars mit armenisch-russisch-deutschen Wurzeln – nahm sich die „Inschrift“ hörbar zu Herzen, die Elgar seinem Violinkonzert beigab: „Aquí está encerrada el alma de …“ (hierin ist eingeschreint die Seele von…). Das bruchstückhafte Zitat aus dem Vorwort des Romans Gil Blas de Santillane von Alain-René Le Sage gibt einen Deutungswink, der ebenso viel sagt wie verschweigt. Doch gleichviel, wen der Komponist im Sinn hatte, ob seine Seelenfreundin und Musikvertraute Alice Stuart-Wortley, der wohl die zärtlichen „Windröschen“-Themen gelten, die eigene Schöpferseele oder die Anima der Violine – die emphatischen Herzensergießungen der Solovioline finden im Vorspruch halbverborgenen Halt.
Zwei seelenvolle Frühwerke Elgars runden das Programm: ein unter Pseudonym geschriebenes Offertoire op. 11 (ob es mit dem Sursum corda identisch ist, das das Grove’s New Dictionary unter op. 11 nennt, bleibt unklar) und das populäre, nachträglich orchestrierte Duo Salut d’amour op. 12: Verlobungsgeschenk für seine ehemalige Klavierschülerin und spätere Gattin Caroline Alice Roberts.

Lutz Lesle