Antesberger, Wolfgang
Vergessen Sie Mozart!
Erfolgskomponisten der Mozart-Zeit
Der provokante Buchtitel Vergessen Sie Mozart! ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Er bezieht sich vielmehr auf eine Aussage des Mozart-Biografen Wolfgang Hildesheimer. Dieser riet im Mozartjahr 1991, die im Musikleben so überstrapazierten Werke des Salzburger Meisters doch einmal ruhen zu lassen. Natürlich um sie anschließend wieder frisch erleben zu können.
Wolfgang Antesberger, Mitglied im Chor der Bayerischen Staatsoper und freier Mitarbeiter bei Bayern 4 Klassik, schlägt zu Mozarts 250. Geburtstag einen anderen Weg ein. Er will über die Sichtung von zehn heute eher unbekannten Komponisten der Mozart-Zeit eine neue Einschätzung des Phänomens Mozart erreichen. Die von ihm ausgewählten Musiker waren damals in der Tat regelrechte Erfolgskomponisten. Es handelt sich um Johann Adolf Hasse, Giovanni Battista Martini, Niccolò Jommelli, François-André Philidor, Tommaso Traetta, Johann Christian Bach, Vincente Martín y Soler, Joseph Martin Kraus, Adalbert Gyrowetz und Joseph Eybler. Die Nachwelt vergaß sie jedoch zugunsten der klassischen Trias Haydn, Mozart und Beethoven.
Natürlich hat die Musikwissenschaft all diese Komponisten mehr oder weniger umfassend gewürdigt. Antesberger konnte auf die zugänglichen Daten und Quellen über Leben und Werk daher leicht zugreifen. Doch seine Zielgruppe ist nicht der Fachmann, sondern der musikinteressierte Liebhaber. Dieser erfährt in den Porträts viel Interessantes über die Zeit, die Aufführungspraktiken und das oft abenteuerliche Leben der Komponisten. So wird die Begegnung des alten Johann Adolf Hasse mit dem jungen Mozart ebenso geschildert wie Joseph Eyblers Beitrag an der Vollendung des legendenumwobenen Requiems.
Die für Mozarts Stil wie für die Klassik wichtigsten Komponisten sind sicher der Neapolitaner Niccolò Jommelli und Johann Christian Bach. Ersterem begegnete Mozart allerdings zeitlebens distanziert, da Jommelli das erste Treffen der Familie Mozart mit dem württembergischen Herzog 1763 vereitelte. Zum Londoner Bach hatte er hingegen ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Der kurioseste der hier versammelten Komponisten ist sicher der Franzose François-André Philidor. Er galt auch als Europas bester Schachspieler und trat in Paris 1783 sogar gegen den ersten Schachautomaten an.
Das mit zahlreichen Abbildungen und CD-Hinweisen (leider ohne Aufnahmedaten und Labelangaben) versehene Buch liest sich gut, es ist informativ und kurzweilig. Zu bezweifeln ist allerdings Antesbergers These, ob einige der Komponisten bei einer anders verlaufenen Rezeption heute in einem Atemzug mit Mozart genannt würden. Schließlich zeichnen sich seine Werke ja nicht nur durch die hohe handwerkliche Qualität, sondern die revolutionäre Innovation aus. Zu einer gerechten Einschätzung ist Mozarts Umfeld allerdings von größter Bedeutung. Dazu leistet dieses populärwissenschaftliche Buch einen gewichtigen Beitrag. Bayern 4 Klassik sendet im Mozartjahr 2006 zahlreiche Sendungen, die Hand in Hand mit dieser Publikation entstanden.
Matthias Corvin