Beethoven, Ludwig van
Streichquartette op. 18 Nr. 1-6
2 CDs
Seit annähernd 30 Jahren konzertiert das Philharmonia Quartett mit einem breiten Repertoire zwischen Wiener Klassik und früher Moderne. Dreh- und Angelpunkt aber blieb das Quartettschaffen Ludwig van Beethovens, dem sich die vier Mitglieder der Berliner Philharmoniker auch in zahlreichen CD-Produktionen widmeten. Umso mehr wundert es, dass die Berliner op. 18 nie als Gesamtaufnahme veröffentlichten. Das hat sich hiermit geändert. Bei den sechs Quartetten dieser Ausgabe handelt es sich zwar um keine Neueinspielungen, sondern um Aufnahmen, die zwischen 2000 und 2008 entstanden, aber das schmälert deren Bedeutung nicht im Geringsten. Daniel Stabrawa (1. Violine), Christian Stadelmann (2. Violine), Neithard Resa (Viola) und der kürzlich verstorbene Cellist Jan Disselhorst legen hier geradezu mustergültige Interpretationen vor, die das Philharmonia Quartett als perfekt eingespielten und wirklich wunderbar ausbalancierten Klangkörper präsentieren, der wie aus einem Guss klingt und doch bis in jede Nebenstimme durchhörbar bleibt.
Der Mittelweg ist der einzige, der nicht nach Rom führt, hat Arnold Schönberg einmal festgestellt. In diesem Fall führt er jedoch genau ins Zentrum von Beethovens frühen Quartetten. Natürlich gibt es exzentrischere Aufnahmen, aber auch eine ganze Menge langweiligere und gediegenere Deutungen als diese. Das Berliner Quartett findet hier genau das rechte Maß von Emotion und Zurückhaltung, Dramatik und Koketterie, Ernst und Spiel, ohne dabei in spießige Vornehmheit zu verfallen. Eine Ambivalenz, die letztlich der Stellung von Beethovens erstem großen Quartettzyklus entspricht: Anknüpfung an ein durch Haydn und Mozart bereits zur Vollendung (und damit Schablone) getriebenes Kammermusik-Format und zugleich erster Aufbruch in neue Gefilde. Exemplarisch zeigt sich das an einem berückenden Adagio affettuoso ed appassionato, dem desperaten Genie-Streich aus dem ersten Quartett, das sehr entspannt und dennoch tief emotional daherkommt, auch tempomäßig zwischen geläufigen Extremen angesiedelt.
Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Diese Interpretationen sind weder unentschieden noch mit kühler Perfektion befrachtet. Vielmehr werden die ganz unterschiedlichen Charaktere und Tonfälle
der sechs Quartette beredt ausformuliert, egal, ob es sich um den Sturm und Drang des ersten Quartetts, die ein wenig gespreizte Anmut des Komplimentierquartetts, die schwärmerische Sanglichkeit im fünften oder die schlichte Zartheit des D-Dur-Quartetts handelt, dessen virtuoses Finale zum übermütigen Kehraus wird.
Auch sprunghafte Stimmungsschwankungen und Satztechniken werden konsequent nachvollzogen, nicht nur in den dramatischen Ecksätzen des einzigen Moll-Quartetts (Nr. 4) oder im geradezu schizophrenen La Malinconia, dem Schlusssatz des sechsten Quartetts. Die sprechende Artikulation der Beethovenschen Affekte und Instrumentalregungen fern jeglicher Übertreibung stellt eine große Qualität dieser Einspielung dar absolute Musik und instrumentales Theater in vollendeter Eintracht sozusagen.
Dirk Wieschollek