Ingrid Fuchs (Hg.)
Musikfreunde
Träger der Musikkultur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Mit der Emanzipation des Bürgertums erlebte das öffentliche Musikleben seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts einen gewaltigen Wandel. Seit die traditionellen sozialen Grenzen infolge der Verbürgerlichung des Adels durchlässig wurden, fühlte sich zunehmend auch das Bürgertum für das öffentliche Musikleben zuständig.
Beispielhaft steht dafür die 1812 gegründete Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, die zunächst Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates hieß. Es war eine reine Privatgesellschaft, welche auf freundliche Weise in einem Privathause zusammenkommt, um sich mit Musik und anständiger Konversation zu erheitern. Ihr Ziel war Selbstbetrieb und Genuss der Musik und die Beförderung der
Geselligkeit unter den Kunstliebhabern unserer Residenzstadt.
Damals galt Musik noch als hoher Bildungswert! Bevor 1870 das noch heute erhaltene Musikvereinsgebäude mit dem großen goldenen Saal eröffnet wurde (das einmal zur Heimstätte der Wiener Philharmoniker werden sollte), musizierte man in verschiedenen Räumlichkeiten der Stadt, im Salon, aber auch im größeren Kreis.
In der Gesellschaft der Musikfreunde hatten sich Musikliebhaber zusammengefunden, keine Profis, sondern Dilettanten, die ihren Lebensunterhalt im Gegensatz zum Berufsmusiker nicht mit Musik verdienten, aber über eine gediegene Musikausbildung verfügten, die ihnen ermöglichte, mit Gleichgesinnten, aber auch gemeinsam mit Berufsmusikern zu musizieren. Die rezipierende wie produzierende Beschäftigung mit Musik, Sammeltätigkeit und Musikerausbildung war ihr Ziel. Konzertleben und Musikrepertoire, wie wir es heute kennen, aber auch der Heroenkult in der Musik sind durch diese Organisation nachhaltig geprägt worden.
Diese und ähnliche Gesellschaften besaßen einen zentralen Stellenwert in der vom Bürgertum getragenen Musikkultur des Biedermeiers, so erfährt man in diesem von Ingrid Fuchs herausgegebenen Band, in dem neben ihr 28 Autoren aus den großen Musikzentren der Welt sich dem Phänomen der Musikfreunde widmen. Die 30 Beiträge des opulenten Sammelbandes, der die Ergebnisse eines Symposiums von 2012 präsentiert, machen deutlich, wie über die Habsburger Monarchie hinaus die Wiener Initiative der Musikfreunde zum Vorbild weiterer vergleichbarer Initiativen in ganz Europa (Rom, Prag, Den Haag, Zürich, Bonn, Frankfurt am Main, Paris, London) und sogar in New York wurde.
Aber auch die für musikalische Gesellschaften des 19. Jahrhunderts geradezu typisch gewordenen Musikfeste und das Feiern von Komponisten-Gedenkjahren sind Thema des mit einem nützlichen Register sowie hervorragenden Quellen- und Literaturangaben versehenen, weit ausholenden, außerordentlich empfehlenswerten Buchs.
Dieter David Scholz