Bronius Kuta­vicius, Osvaldas Balakauskas, Algirdas Martinaitis

Werke von Bronius Kuta­vicius, Osvaldas Balakauskas und Algirdas Martinaitis

Lithuanian Chamber Orchestra, Ltg. Adrija Cˇepaite˙

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Telos Music TLS 221
erschienen in: das Orchester 07-08/2019 , Seite 71

„Bronius Kutavicˇius ist nicht nur ein Komponist, er ist auch ein nationales Orakel, das Mythen und Geschichte dramatisiert, in musikalische Rituale verwandelt, welche die Litauer zu ihren Wurzeln führen und ihre völkische Identität stärken sollen“, notierte der schwedische Musikschriftsteller Göran Bergendal. An die mythische Grundschicht der litauischen Kulturgeschichte rühren auch seine Dzūkija Variations (1974) für Kammerorchester und Tonband-Einspielung, ein Beitrag zur Hundertjahrfeier des litauischen Maler-Musikers Mikalojus Konstantinas Čiurlionis. Dessen Herkunft gemäß erklingt eingangs ein Volkslied aus der Region Dzūkija, das am Ende der Variationenreihe wiederkehrt – diesmal in Čiurlionis’ Arrangement für vierstimmigen Chor.

Neben Kutavičius gehört der fünf Jahre jüngere Osvaldas Bala-kauskas zu den führenden Köpfen der älteren Generation litauischer Komponisten. Zu Zeiten, da Avantgardismus in der Sowjetunion nichts anderes war als „das degenerierte Gesicht des verrotteten Kapitalismus“, studierte er Partituren, Schallplatten und Musikbücher aus Polen. In den kritischen Jahren vor 1990 gehörte er der Volksbewegung an, die sich für die nationale Wiedergeburt Litauens einsetzte. Nach 1991 diente er der wiedererstandenen Republik als Botschafter in Frankreich, Spanien und Portugal.

Theoretisches Kalkül und spontanes Musikantentum, poetischer Feinsinn und systemimmanente Logik gehen in seiner Tonkunst Hand in Hand. Vor geraumer Zeit entwickelte er ein eigenes, aus dem Quintenzirkel gewonnenes Modussystem, das er „Dodekatonika“ nennt. In rhythmischer Hinsicht ließ er sich vom Jazz und von Boris Blachers Prinzip der „variablen Metren“ anregen. Auch in seinem Konzert für Oboe, Cembalo und Streicher (1981) sind diese Eigenheiten wirksam. Sie verleihen den drei Sätzen eine aparte Tönung und rhythmischen Schwung – Vorgaben, die das Litauische Kammer-

orchester mit dem Oboensolisten Robertas Beinaris, angespornt von der Dirigentin Adrija Čepaitė, mit Wonne ergreift und dem Hörer vermittelt.

Wie etliche Komponisten im Baltikum, die in den 1950er Jahren geboren wurden, verschmähte Algirdas Martinaitis sowohl Reihentechnik und Aleatorik als auch Klangschlieren und Geräuschfelder, um sich im Zeichen einer „neuen Einfachheit“ neoromantischen Neigungen hinzugeben. In seiner Werkliste tauchen mehrfach Klassiker als Materialspender auf. Neben Schubert gilt seine Vorliebe Johann Sebastian Bach. Ihm huldigte er im Jubeljahr 2000 mit einem Konzert für Tenor, Flöte, Oboe, Cembalo und Streicher, betitelt als Musikalisches Opfer. Umschlossen von zwei Konzertsätzen, die textlich auf Kapitel 12 der Johannes-Offenbarung aus der Lutherbibel Bezug nehmen (Ein Kampf im Himmel – Jubelt, ihr Himmel), umkreisen die Mittelsätze das Musikalische Opfer und den Rätselkanon Quaerendo invenietis (Suchet, so werdet ihr finden). Der brasilianische Tenor Giovanni da Silva verleiht den Bibelzitaten spirituelle Würde und Wärme.

Lutz Lesle