Bollmann, Ralph
Walküre in Detmold
Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz
Auf dem Buchcover steht eine Walküre an der Bushaltestelle. Eine Walküre in Detmold? Das Buch hätte auch Fidelio in Neustrelitz oder Orpheus in Coburg heißen können. Letztlich handelt es sich bei dem Buch um eine sachlich informative, unromantische Liebeserklärung an die weltweit einzigartig dichte Opernlandschaft in Deutschland. Auf den Rektor der Weimarer Musikhochschule und ehemaligen Berliner Kultursenator Christoph Stölzl geht der Spruch zurück: Deutschland ist, wenn man mit dem Fahrrad zur Zauberflöte fahren kann. Das ist zusammengefasst auch das Leitbild des Buchs von Ralph Bollmann.
Nicht als Kultur-, sondern als Politik- und Wirtschaftredakteur ist Bollmann eigentlich tätig. Was 1997 begann, zunächst als reines Ferienvergnügen in Form eines Opernbesuchs in Neustrelitz, wurde bald zur fixen Idee, fast zur Besessenheit: Bollmann bereiste bis Ende 2010 in Deutschland 81 Orte und sah dort 84 Opern. Seine Eindrücke und Beobachtungen fasste er in einem Buch zusammen. Da eben nicht Feuilletonist, sondern Wirtschaftsjournalist geht es um die künstlerischen Leistungen der Ensembles oft nur am Rande. Das ist auch nicht weiter schlimm. Denn im Mittelpunkt stehen subjektive Eindrücke von allen deutschen Groß-, Mittel- und Kleinstädten, die über ein Opernhaus verfügen. Reisebeschreibungen der besonderen Art: ein wenig Lokalgeschichte, ganz aktuell oder zurück bis zur Gründung des Opernhauses, die Aufgeschlossenheit der Menschen in der Stadt, und ganz wichtig ob man nach dem Opernbesuch auch noch etwas zu essen und trinken bekommen kann. Man fühlt sich gelegentlich an Roger Willemsens Beobachtungen aus seiner Deutschlandreise (2002) erinnert. Opernliebhaber könnten das Buch auch sehr gut als Ideengeber für die nächste Kurzreise in die Provinz verwenden, die in einigen Fällen aber gar nicht so provinziell ist.
Man nimmt das Buch gerne zur Hand, denn sachlich Informatives ist gelungen mit einem anekdotischen Flair kombiniert. Intendanten, Dramaturgen, Kapellmeister, Sänger, Schauspieler kommen zu Wort, berichten über ihre Erfahrungen, an kleineren Standorten halbwegs anspruchsvolles Musiktheater zu machen. Aber auch Eindrücke von Gastwirten, Hotelbesitzern, Stadtführern und Menschen auf der Straße bringen eine gute Portion Lokalkolorit in das Buch. Dass sich örtliche Verhältnisse seit Beginn der Opernreise im Jahr 1997 verändert haben, tut der Lektüre keinen Abbruch, denn meistens liefert der Autor neuere Querverweise und Aktualisierungen. Besonders interessant wird es an den Stellen, an denen der Autor ein Opernhaus im Abstand mehrerer Jahre erneut besucht hat. Nach Neustrelitz kehrt er mehrfach zurück, auch nach Dessau oder Weimar.
Wer sich einen Überblick über die immer noch reiche deutsche Opernlandschaft verschaffen will, wird mit dem Buch sehr gut bedient. Es eignet sich besonders als Geschenk für den Musikliebhaber.
Gerald Mertens