Martin Wulfhorst
The Orchestral Violinists Companion
2 Bände (englisch)
Semester für Semester, Jahr für Jahr verlassen junge Geiger ausgestattet mit Diplomen und jeder Menge Idealismus nach Jahren intensivem Studiums ihre Hochschulen und begeben sich auf die Suche nach einem Job in einem möglichst guten Orchester. Trotz zumeist beträchtlichem Können sind viele von ihnen nicht wirklich auf den Alltag im Orchester, auf die Realitäten und Anforderungen des Berufs vorbereitet, die sich je nach Typ des Ensembles (Opern-, Rundfunk-, Konzert- und Reise-, Kammerorchester, Ensemble mit Schwerpunkt Neue Musik usw.) noch einmal erheblich voneinander unterscheiden können. Dies beginnt mit der Prozedur des Probespiels, setzt sich fort mit dem Versuch des schnellstmöglichen Zurechtfindens im neuen Ensemble, von dessen Gelingen das Bestehen der Probezeit abhängt, und endet auch für den etablierten Orchestergeiger keineswegs mit Dienst-, sprich Proben- oder Vorstellungsschluss. Schließlich will man den Beruf über eine lange Zeitspanne hinweg niveauvoll ausüben, was Strategien erfordert, wie mit den künstlerischen Herausforderungen, aber auch mit den beträchtlichen körperlichen und mentalen Belastungen umzugehen ist. Fehlt das nötige Rüstzeug, so schlägt Idealismus schnell in Frustration um, die Freude an Musik und Beruf weicht rasch einem Gefühl, permanent durch die Mühlen einer gnadenlosen Maschinerie gedreht zu werden, was jenen destruktiven Zynismus fördert, den wir aus manchem Orchester kennen.
Martin Wulfhorst, seit langen Jahren 2. Konzertmeister der Hamburger Symphoniker, hat jetzt mit The Orchestral Violinists Companion ein Handbuch in englischer Sprache vorgelegt, in dem er nahezu jeden erdenklichen Aspekt des Jobs eines Orchestergeigers eingehend unter die Lupe nimmt, eine Art orchesterorientiertes Gegenstück zu Fleschs Die Kunst des Violinspiels. Was Wulfhorst hier alles zusammengetragen hat, verdient höchsten Respekt. Gleiches gilt für die Kompetenz und Anschaulichkeit der Darstellung. Er widmet sich ausführlich und systematisch zahlreichen geigerischen und musikalischen Fragen, präsentiert bewährte, effektive Übetechniken (hier greift vieles über den spezifisch orchestralen Bereich hinaus), befasst sich detailliert mit Stilistik und spezifischer Notation. Wie bereite ich ein Probespiel vor, wie stelle ich mich auch mental darauf ein? Wie studiere ich schnell und zweckmäßig ein? Was muss ich üben (das Problem des Notenfressens, ein Operngeigenpart hat oft einen Umfang von 90 Seiten und mehr) und wie? Wie verbessere ich mein Blattspiel? Wie erhalte ich mir im Alltag meine geigerische, aber auch meine körperliche und mentale Fitness?
Das außerordentlich umfangreiche Werk zwei dicke Bände, dazu noch zahlreiche weitere Kapitel als Download erhältlich aus dem Internet unternimmt es, Antworten auf nahezu alle erdenklichen Fragen zu geben, in der Regel sehr überzeugende. Ob man dabei mit jedem Detail, mit jedem Fingersatz- oder Strichvorschlag etc. einverstanden sein mag, ist unwichtig. In dieser Systematik und in diesem Umfang ist mir kein vergleichbares Werk bekannt. The Orchestral Violinists Companion sei nicht nur Orchestergeigern nachdrücklich empfohlen.
Herwig Zack