Bruckner, Anton
Sinfonie Nr. 8 c‑Moll
Das Abschiedskonzert von Herbert Blomstedt, dem langjährigen künstlerischen Leiter des Gewandhausorchesters Leipzig, im Juli 2005 muss ein tiefes, unvergessenes Erlebnis gewesen sein. Denn schon allein die Aufnahme dieses Konzerts vermittelt einen seltenen Eindruck beseelten Genusses. Gibt es einen würdigeren Abgang als mit Bruckners Achter?
Vielleicht ist der Weg in der Musik zurück zu einer traditionellen Besinnung der Interpretation doch der richtige, außergewöhnliche Qualität höchsten Ausmaßes zu liefern, gerade bei Bruckner, dessen späte Symphonien durch jüngere Dirigenten vielmals wegen zu forsch gewählter Tempi an Größe und innerer Würde verlieren. In der Wiederentdeckung der Langsamkeit, welche Herbert Blomstedt insbesondere im dritten Satz mit beseelt-langem Atem spannungsreich zu gewaltiger Höhe führt, entwickelt sich Bruckners harmonische Kraft, melodische Schönheit sowie eine gelöst-vollkommene farbige Klangprächtigkeit. Wahre Musik scheint wirklich nur aus der Tiefe eines Adagios zu entspringen. Falsches Pathos ist hier jedoch nicht angesagt: Das wäre freilich missverstanden und täte dem Komponisten Unrecht.
Ebenso sind die anderen Sätze in gemessenen, nicht allzu schnellen Tempi dirigiert, ohne aber der lauernden Gefahr zu unterliegen, bleiartig zu schleppen oder den großen Spannungsbogen einbrechen zu lassen. Die Musiker folgen ihrem scheidenden Leiter bis hinauf in die Dirigentenstabspitze. Nuanciert, dynamisch genau abgestuft mit akribischer Liebe zum Detail sind sowohl die transparenten Holzbläser eingestellt als auch die cremig-zarten Klänge des wärmenden Blechs volltönend präsentiert, insbesondere beim kolossal wirkenden Auftritt der acht Hörner. Die Streicher des Orchesters sind bekanntlich eine verlässliche Bank, die Violoncelli intonieren sauber auch in den höchsten Lagen bis in die dreigestrichene Oktave hinein, die Violinsoli sie fallen sonst gerne schon mal unter den Tisch werden exakt und deutlich zu Gehör gebracht. Selten so eine gelungene Aufnahme gehört, interpretiert mit echtem Herzblut und völliger Hingabe!
Dennoch hat Tradition einen Nachteil, der allerdings keinen schwerwiegenden Einfluss auf die hohe künstlerische Leistung von Dirigent und Orchester hat: Tradition heißt, dass sich auch ein Gewandhausorchester Leipzig nicht von der so genannten Fassung von Robert Haas trennen möchte, die sich, wenn auch geringfügig, von der eigentlichen, wissenschaftlich fundierten zweiten Fassung von Anton Bruckner unterscheidet. Haas rettete 1939 in dessen Fassung einige Takte vorwiegend des 3. und 4. Satzes aus der selten gehörten, ersten Fassung Bruckners hinüber. Somit wird die Nachwelt auch von Herbert Blomstedt keine brucknersche Originalfassung der Achten hören, sondern lediglich die lieb und teuer Gewordene. Eigentlich schade aber wenn mans so gewöhnt ist
Werner Bodendorff