Rott, Hans
Sinfonie Nr. 1 E-Dur
mit Sinfoniesatz E-Dur
Wer war Hans Rott? In keinem der einschlägigen Nachschlagewerke gibt es eine Antwort. Der Lieblingsschüler Anton Bruckners, Studienkollege von Gustav Mahler und Hugo Wolf, Organist und Komponist blieb bis vor wenigen Jahren unbekannt, vergessen. Seinen Nachruhm empfing er durch Aufführungen und Aufnahmen seiner E-Dur-Symphonie, die ihn zum Begründer der neuen Symphonie macht, wie ich sie verstehe. Unter 25 aufführbaren Werken (verschiedener Besetzungen) ist sie das Hauptwerk, zu dessen Bedeutung sich Gustav Mahler mit den zitierten Worten bekannt hat; gleichwohl hat er das Werk nie aufgeführt.
Und noch einmal Mahler: Er ist meinem Eigensten so verwandt, daß er und ich mir wie zwei Früchte von demselben Baum erscheinen. Die Einflüsse von Bruckner und Mahler und Rotts eigene, nicht zu unterschätzende Schaffenskraft verdichten sich zu einer Einheit, die wenn auch aus einigem Abstand auch Richard Wagner berührt, den der Komponist verehrt; bei den ersten Bayreuther Festspielen war er zu Gast. Brucknerisch sind sicher die Liebe zu Chorälen und zum Kontrapunkt (besonders im Scherzo und im Finale). Und was Mahler betriff: Die Einflüsse sind zweifellos gegenseitig.
Rott war 21, als er die Komposition abschloss. Es ist schon erstaunlich, wie geschlossen sie wirkt, wie er die große Form be-wältigt (Aufführungsdauer rund eine Stunde), wie er seine klanglichen Vorstellungen zu verwirklichen weiß, in subtiler Instrumentation und ausgefeilter Harmonik, ohne Scheu auch vor harten Reibungen. Die Tutti-Ausbrüche, die scharfen Akzentuierungen und deren effektvolle Wirkung, die großen dynamischen Gegensätze (bis zum fünffachen piano im Adagio) hat er mit Mahler gemein. Zum Greifen nah sind diese Parallelentwicklungen im meisterhaften, vielgliedrigen Scherzo, das voll Überraschungen steckt und durch seine rhythmische Wucht imponiert. Erst im Finale kehrt er nach
E-Dur zurück, in einem Satz, in dem er mit markant herausgearbeiteten Motiven und kontrapunktischem Aufbau glänzen kann. Er endet in reinem E-Dur mit 15 Takten Dreiklang-Girlanden der Violinen und Bratschen über gehaltenen Bläsern mit einem Schlussakkord, der im piano pianissimo bis zum gänzlichen Verklingen zu halten ist.
Bert Hagels hat die vor zwanzig Jahren aufgefundene Partitur mit diversen Helfern sorgfältig für diese Ausgabe vorbereitet und minutiös in allen Einzelheiten aufgearbeitet, was besonders beim ersten Satz schwierig, weil im endgültigen Verlauf nicht eindeutig festgelegt war; nachzulesen in der ausführlich dargelegten Entstehungsgeschichte. Eine Vorform des ersten Symphoniesatzes stellt der im Anschluss publizierte Symphoniesatz E-Dur (1878) dar. Es ist jener Satz, der bei der Jury eines Wettbewerbs durchgefallen war und daraufhin Anton Bruckner zu dem Ausspruch veranlasste: Lachen Sie nicht, meine Herren, von dem Mann werden wir noch Großes hören.
Dazu kam es dann nicht. Hans Rott (geb. 1. August 1856, gest. 25. Juni 1864), ein sehr gut aussehender Mann, angeblich dem Bayernkönig Ludwig II. frappant ähnlich, starb noch nicht 26-jährig in der niederösterreichischen Landes-Irrenanstalt, in die er drei Jahre zuvor verbracht worden war; er litt an Verfolgungswahn, der sicher mit ausgelöst wurde durch zwei Enttäuschungen, die ihn zutiefst getroffen hatten: die Art, mit der ihn Brahms behandelte, sowie die lange Verzögerung der Uraufführung seiner Symphonie durch die Wiener Philharmoniker und die endgültige Absage durch Hans Richter. Das war zu viel für ihn.
Karl Robert Brachtel