Mozart, Wolfgang Amadeus
Sämtliche Werke für Violine und Klavier I und II
Partitur und Stimmen
Eine Reihe weiterer Neuerscheinungen im Rahmen der revidierten Neuen Mozart-Ausgabe von Bärenreiter sind zu vermelden: Sämtliche Werke für Violine und Klavier, das 1. Violinkonzert in B-Dur KV 207, die Einzelsätze Adagio E-Dur und Rondos C-Dur und B-Dur für Violine und Orchester.
Was sofort auffällt, ist das gegenüber den alten Veröffentlichungen stark verbesserte Notenbild aller dem Rezensenten vorliegenden Hefte und Bände. Bisher erschwerte ein meist etwas eng geratener Druck das Lesen insbesondere von Vorzeichen. Demgegenüber ist das Layout dieser Neuausgabe ausgesprochen großzügig und lesefreundlich, auch das Problem zusätzlich anfallender Wendestellen hat man intelligent gelöst. Sämtlichen Ausgaben sind doppelte Violinstimmen beigegeben: jeweils eine uneditierte, ausschließlich den Notentext wiedergebende sowie eine von Matthias Wulfhorst für den praktischen Gebrauch eingerichtete, mit Fingersätzen und Bogenstrichen versehene. Dieses System hat sich sehr gut bewährt, bietet es dem Interpreten doch beides: die Möglichkeit, sich mit dem Text direkt ohne jeden fremden Zusatz auseinander zu setzen, und einen praktikablen Weg zur instrumentalen Bewältigung der Materie.
Mit den beiden Bänden sämtlicher Werke für Violine und Klavier tritt Bärenreiter in Konkurrenz zur Wiener Urtext Edition und zu Henle. Im direkten Vergleich hat die Neuausgabe eine Reihe von Vorzügen aufzuweisen, darunter besonders denjenigen der größeren Vollständigkeit. So wurden die Jugendsonaten KV 6-9 und KV 26-31, das Satzpaar KV 404 sowie drei von Maximilian Stadler vervollständigte Fragmente mit aufgenommen. Verzichtet hat man dagegen auf alle Werke zweifelhafter Echtheit, auf Kurzfragmente, auf die mit obligatem Violoncello besetzten Sonaten KV 10-15 sowie auf die Sonate in B-Dur KV 570, eine unbestritten von Mozart stammende Klaviersonate mit nachträglich hinzugefügter obligater Violinstimme, deren Authentizität in Zweifel gezogen wird.
Die Klavierpartitur und insbesondere die editierte Violinstimme enthalten viele hilfreiche praktische Vorschläge für den Interpreten, etwa zur Auszierung von Fermaten. Als besonders wertvoll empfinde ich Wulfhorsts Hinweise zur Aufführungspraxis, in denen er sich konkret mit Besonderheiten von Mozarts Notation u.a. Unterscheidung von Punkten und Keilen, Angleichung von punktierten Rhythmen in einem überwiegend triolischen Kontext, Ausführung von kurzen und langen Vorschlägen, von Trillern und Doppelschlägen befasst.
Wulfhorsts Einrichtung der Violinstimme mit Bogenstrichen und Fingersätzen ist modern-professionell erstellt und bietet in jedem Fall praktikable Varianten an. Naturgemäß ist dies ein weites Feld, wo man die unterschiedlichsten Lösungen favorisieren kann und wird. Letztendlich entscheide, wie C. Ph. E. Bach so schön am Ende ausgedehntester Abhandlungen schreibt, der gute Geschmack!
Für die Neuausgabe der konzertanten Einzelsätze und des B-Dur-Konzerts hat Martin Schelhaas neue Klavierauszüge erstellt. Das Anfertigen von Klavierauszügen grenzt oft an die Quadratur des Kreises: Alle musikalisch und farblich relevanten Details der Orchesterpartitur sind unterzubringen, das Resultat soll hinterher auch noch klingen und spielbar sein. Letzteres haben wohlmeinende Arrangeure allzu oft übersehen und die Klavierparts hoffnungslos zugestopft und überladen. Legionen gequälter Korrepetitoren leiden täglich an Klavierauszügen, die horrendeste Schwierigkeiten aufhäufen, um dann doch nur wie ein matter, hölzener Abklatsch der Orchesterpartituren zu klingen. Sie alle werden Schelhaas danken. Seine Versionen sind pianistisch kompetent gesetzt, einfach, aber nicht primitiv, dazu klanglich befriedigend, gerade weil sie vom Vollständigkeitswahn und der Sperrigkeit der älteren Versionen Abstand nehmen.
In den Heften enthalten sind von J. D. Alard und von Wulfhorst selbst verfasste Kadenzen und Durchgänge. Im Prinzip ist dies zu begrüßen, fehlen doch bisher nach meinem Empfinden gerade beim B-Dur-Konzert und den Einzelsätzen wirklich überzeugende Varianten. Leider sind auch die vorliegenden Kadenzen nicht gerade mein Fall: zu lang, zu aufwändig, gerade im Fall des E-Dur-Adagios mir auch harmonisch zu kompliziert und mozart-fern. Aber auch hier entscheide zu guter Letzt der persönliche Geschmack!
Bliebe das alte, leidige Thema des in Bärenreiter-Einzelausgaben fehlenden Revisionsberichts. Ich wünschte mir hier eine genaue Auflistung der textlichen Details über gelegentliche Fußnoten hinaus. Alles in allem drei wichtige Beiträge zum Mozart-Jahr, die man nur wärmstens empfehlen kann.
Herwig Zack