Drüner, Ulrich
Richard Wagner
Die Inszenierung eines Lebens. Biografie
Jede neue Wagner-Biografie steht unter zunehmendem Legitimationsdruck. Dieser Druck ist Drüners Buch deutlich anzumerken. Er sieht sich in der Tradition der großen, wirkungsmächtigsten Wagner-Biografen der Vergangenheit: Die Trias Glasenapp, Newman und Gregor-Dellin ist das ganze Buch hindurch drohend allgegenwärtig; die zahllosen übrigen Wagner-Darstellungen werden nur am Rande mit einbezogen oder auch nicht. Und natürlich sind Absetzbemühungen spürbar, um der Schrift möglichst klare Alleinstellungsmerkmale zu verleihen. Positiv festzuhalten ist hier, dass dem Leser Wagners Charakter und sein Denken sowie die wesentlichen Impulse und Initialzündungen für sein Schaffen ganz besonders plastisch, quellengestützt und argumentativ sicher nahegebracht werden. Auch die Ausführungen zu den Werken mit Schwerpunkt auf dem Sujet und den inhaltlichen Verstrickungen liest man mit Gewinn.
Das Musikalische kommt dagegen deutlich zu kurz, was umso mehr verwundert, als sich der Autor wiederholt und bisweilen mit unbotmäßiger Penetranz als Musiker mit langjähriger Orchesterpraxis selbst ins Spiel bringt. Da von einer sicheren, geschweige denn halbwegs lückenlosen Beherrschung der musikwissenschaftlichen Literatur zum Werk kaum die Rede sein kann, hätte man doch zumindest einige wertvolle Einblicke aus der Praxis erwartet, zur Instrumentation etwa oder zur Entwicklung des Orchestersatzes. Doch statt hier Konkretes, Neues zu bieten, operiert der Autor mit eher hilflos anmutenden Superlativen zur Schönheit des Werks oder er bringt den schwammigen Begriff der Transzendenz ins Spiel; über beides ist nicht recht zu diskutieren.
Unscharf bleibt auch der Begriff der Inszenierung aus dem Untertitel: Dass Wagner, je älter er wird, sein Leben, seine Biografie re-inszeniert, ist weder überraschend noch neu. Spätestens seit Beethoven gehört die Inszenierung der Person untrennbar zum Künstlertum dazu. Und dass die Darlegungen in Mein Leben durch den Vergleich mit den frühen Briefen und Schriften praktisch durchgehend relativiert bzw. widerlegt werden, ist ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt; Egon Voss und Isolde Vetter etwa haben schon immer darauf aufmerksam gemacht.
Mit der Forschung, den Biografen und der Musikwissenschaft geht Drüner im Ganzen eher rüde um; auch werden Desiderate dort gesehen, wo gar keine sind, etwa was die Bedeutung der Diatonik in Tristan und Isolde angeht, oder auch hinsichtlich der Leitmotivik: Das wiederholte Auffinden des Tagesmotivs aus dem 2. Akt etwa im Gutrune-Motiv und dem Trauermarsch der Götterdämmerung oder im Parsifal-Vorspiel ist nur ein Beispiel eigentümlicher Werkbetrachtung.
Trotz der oben angesprochenen Meriten: Im Ganzen hätten dem Buch eine klarere Systematik, ein besseres, sehr eingreifendes Lektorat und eine stärkere Selbstzucht des Autors gut getan.
Ulrich Bartels