Railroad Rhythms
Classical Music about Trains. Im Rhythmus der Eisenbahn
Das 19. Jahrhundert war weitgehend von Fortschrittsgläubigkeit geprägt, von der Faszination von der Technik, die die Grundlage für die industrielle Revolution lieferte. Dampfmaschinen waren für diese Entwicklung, die alle gesellschaftlichen Bereiche tangierte, unentbehrlich. Besondere Faszination löste die Entwicklung der Eisenbahn aus, die das Reisen revolutionierte. Kein Wunder, dass auch die Komponisten sich von dieser Faszination anstecken ließen, Antonín Dvor?ák, ein geradezu fanatisch Eisenbahnbegeisterter, mag da nur das bekannteste und sich fast ungebührlich in den Vordergrund drängende Beispiel für die Eisenbahnleidenschaft sein.
Das SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern, das aus Spargründen mit dem Rundfunkorchester Saarbrücken fusioniert werden soll, hat sich nun mit dem international renommierten Dirigenten Jiri Stárek der Thematik auf der CD Railroad Rhythm mit einer ebenso unterhaltsamen wie instruktiven Einspielung angenommen. Dass Stáreks Großvater selbst Eisenbahner war, dürfte sein Interesse an diesem Programm noch verstärkt haben. Das Programm, das vom 19. Jahrhundert ausgehend sich auch das 20. erschließt, bietet neben Dvor?áks Humoresque op. 101,7 ein sehr kenntnisreich zusammengestelltes Programm, bei dem Raritäten dominieren.
Natürlich fehlt, quasi als Endpunkt, Arthur Honeggers Pacific 231 nicht, das die Faszination der Eisenbahn in ihr Gegenteil umschlagen lässt und für ein sich änderndes Technikverständnis steht, das das Vernichtungspotenzial der Maschinenwelt in den Vordergrund rückt. Es dominieren aber zumeist Stücke, die oft auf durchaus unterhaltsame Weise sich der Eisenbahn nähern. Zu ihnen gehören Hans Christian Lumbyes Kopenhagen Eisenbahn-Dampf Galopp, Johann Strauß Sohns Vergnügungszug oder Kompositionen von Eduard Strauß (Mit Dampf! Polka schnell op. 70). Steht hier hörbar das Tanzvergnügen im Vordergrund, was vom sehr präsent musizierenden SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern mit Temperament und Liebe zum Detail musiziert wird, so beschreibt Alois Pachernegg mit Unter Dampf! Ein Zug fährt vorbei schon fast naturalistisch das Nahen und Passieren eines Dampfzuges.
Die Weite des amerikanischen Westens, der ohne die Eisenbahn kaum hätte erschlossen werden können, evoziert hingegen Aaron Coplands bluesig angehauchte John Henry. A Railroad Ballad, während Leonard Bernstein das Dampflokzeitalter hinter sich gelassen hat und den Zuhörer mit jazzigen Klarinettenklängen zu einer Fahrt mit der U-Bahn nach Coney Island (Subway Ride and Imaginary Coney Island) einlädt. Ebenso wie ihre amerikanischen Kollegen haben auch Jacques Ibert der Pariser Metro und Vincent DIndy mit Horizonts verts Falconara der Bahn ihre Referenz erwiesen. In die Weiten Brasiliens entführt Heitor Villa-Lobos mit O Trenzinho do Caipira, während sein mexikanischer Komponistenkollege Silvestre Revueltas sich den Bau einer Eisenbahnstrecke (Construction of the Railroad) als musikalische Vorlage wählt.
Stárek und das sehr ausgewogen besetzte, mit vielen inspirierten Bläserpassagen aufwartende SWR Rundfunkorchester werden dabei den unterhaltsamen ebenso wie den deskriptiv angehauchten Kompositionen zum Thema Eisenbahn gerecht, selbst der strengen Fugenform eines Hilding Rosenberg (Railway Fugue) wird mit ansprechendem Orchesterklang etwas von ihrer Strenge genommen. Einzig beim wohl bekanntesten Eisenbahnstück überhaupt, bei Honeggers Pacific 231, hätte man sich vom Orchester und seinem aufmerksamen Leiter auf dieser auch durch ihre musikalische Vielfalt überzeugenden, dank der die Räumlichkeit gut einfangenden Aufnahmetechnik auch klanglich gelungenen CD eine Spur mehr von dem apokalyptischen Moment wünschen können, die diesem Werk innewohnt.
Walter Schneckenburger