Meyer, Krzysztof
Konzert für Klarinette und Orchester op. 96
Klavierauszug
Wenn der deutsch-polnische Komponist Krzysztof Meyer, Jahrgang 1943, ein Instrumentalkonzert in Angriff nimmt, denkt er zumeist an einen bestimmten Interpreten. Im Fall des 2001 geschriebenen Klarinetten-Konzerts op. 96 war es Eduard Brunner, dem Meyer das Werk auch widmete. Brunner ist einer der Klarinetten-Spezialisten der Neuen Musik. Meyer verzichtet allerdings in diesem Konzert auf alle neueren Spieltechniken, er kehrt zum ursprünglichen Charakter des Instruments zurück. Er lässt es auf seine Art singen und gibt mit weit gespannten Arpeggien auch der Virtuosität Raum. Er ist davon überzeugt, dass wieder die Zeit gekommen ist, um über eine neue Art von Melodik und Harmonik nachzudenken.
Diesem Credo entsprechend eröffnet er den ersten, langsamen Satz mit einem ausgedehnten Klarinetten-Solo, in dem sich die von Kleinintervallik geprägte und durch Fortspinnung gestaltete Melodik eindrucksvoll entfaltet. Der Orchestereintritt setzt dem Solopart eine klangfarblich zarte akkordische Struktur entgegen. Nach dem lyrischen Beginn wird die Musik zu einer großen Steigerung geführt, die dann unvermittelt in sich zusammenfällt.
Das nachfolgende zweiminütige Allegretto trägt scherzoartige Züge und setzt der Klarinette einerseits rhythmisch profilierte Akkorde, andererseits dichte Pizzikato-Klangflächen gegenüber. Auch in diesem Satz kommt es zu einer eindrucksvollen Steigerungsphase, die jedoch am Ende wieder abgebaut wird, um unmittelbar in das Largo überzugehen, das von einem Triolenmotiv im Orchester durchzogen wird. In diesem dritten Satz sind Orchester und Solopart enger verzahnt. Das melodische Gewicht wird dem Orchester übertragen, während in der Klarinette das Figurenwerk dominiert. Auf dem Höhepunkt des sich verdichtenden Wechselspiels setzt ein klanggewaltiges Orchestertutti ein, auf das noch ein reprisenartiger Teil folgt. Nach dem virtuosen Beginn des vierten Satzes mit der Tempobezeichnung Vivace wird die Musik motivisch fassbarer. Aus dem Orchester treten einzelne Klangfarben (Oboe, Trompete, Solo-Violine) hervor. Der kompositorisch gewichtigste Satz des Konzerts zeigt ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen Orchester und Solist. Das Konzert wird mit der krebsförmigen Wiederaufnahme eines Teils des Eingangssolos aus dem ersten Satz formal abgerundet.
Der Solopart ist im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Konzerten als gut spielbar anzusehen. Der Orchesterpart ist klangfarblich vielfältig gestaltet, worüber der gut lesbare Klavierauszug jedoch keine Auskunft gibt. Gerade bei modernen Werken wären entsprechende Hinweise als Hilfe bei der Einstudierung sinnvoll.
Das zwanzigminütige Konzert Meyers ist sehr durchsichtig gearbeitet und zeugt von einem ausgeprägten Formgefühl. Es sollte durchaus seinen Platz im normalen Konzertbetrieb finden können.
Heribert Haase