Geuting, Matthias (Hg.), Michaela Grochulski

Felix Mendelssohn Bartholdy

Interpretationen seiner Werke, Bd. 1 und 2

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Laaber, Laaber 2016
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 57

„Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt“, so Robert Schumann über seinen Komponistenfreund, über dessen Schaffen nun endlich auch zwei gewichtige Bände in der Reihe Interpretationen seiner Werke im Laaber-Verlag erschienen sind.
Die einzelnen „Interpretationen“ der 54 Autoren sind von unterschiedlicher Qualität. Manche gehen über Hinweise zur Entstehungsgeschichte kaum hinaus bzw. sind im Deskriptiven verhaftet und reflektieren weder die Prämissen der Ästhetik zur Zeit Mendelssohns noch die Einflüsse der Rezeptionsgeschichte in ihrer Widersprüchlichkeit. Man vermisst schmerzlich ein Kapitel zur Rezeptionsgeschichte, in dem nicht nur das Unrecht, das Mendelssohn widerfahren ist, dargestellt wird, sondern auch die unrühmlichen Verhaltensweisen mancher Komponisten und Musikwissenschaftler zur Zeit des „Dritten Reichs“ und auch noch danach. Man findet manche Hinweise eher versteckt in den Kommentaren zu den einzelnen Werken, wobei man sich über die pauschale Harmlosigkeit des folgenden Urteils doch wundern kann: „Die Beliebtheit des Werkes konnten nicht einmal zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur brechen, als gewaltsam, durch offizielle Ausschreibung ein Ersatz für Mendelssohns Musik gesucht wurde und sich einige namhafte Komponisten daran beteiligten.“ So Helmut Loss im Kapitel „Musik zu Ein Sommernachtstraum op. 61“.
Erfreulich ist jedoch, dass auf analytischer Ebene überkommene Vorurteile zumeist nicht übernommen wurden, sondern die analytischen Interpretationen sich konsequent dem kompositorischen Gegenstand widmen. Man lese hierzu die kundige Analyse zu den Streichquartetten op. 44 von Hubertus Dreyer. Überaus wichtig sind auch die Ausführungen von Hans-Günter Klein zur Vernachlässigung des bildnerischen Schaffens Mendelssohns.
Zahlreiche Notenbeispiele, Abbildungen und eine umfängliche Bibliografie erlauben einen fundierten Einblick in die weit verzweigte Forschungsliteratur. Die an der Entstehungsgeschichte orientierte Systematik vermag nicht so recht zu überzeugen, zumal es, wie Matthias Geuting im Vorwort anmerkt, Kompositionen gibt, die sich einer „problemlosen entstehungsgeschichtlichen Einordnung widersetzen“. Der Umgang mit diesem inhaltlich überaus gewichtigen Kompendium wird dadurch leider etwas mühsam. Druckqualität (insbesondere der Skizzen und Bilder), Layout und Register entsprechen leider nicht dem bisher aus dieser Reihe gewohnten Niveau.
Diese kritischen Anmerkungen sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein gewichtiges Nachschlagewerk vorgelegt wurde, das den derzeitigen Stand der Forschung darlegt und sicherlich ein wichtiger Beitrag dazu ist, dass Mendelssohn endlich in seinem umfangreichen Schaffen wahrgenommen wird.
Michael Pitz-Grewenig