Offenbach, Jacques

Coscoletto ou Le Lazzarone

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 60121
erschienen in: das Orchester 01/2007 , Seite 91

Eine Opéra comique in zwei Akten von Jacques Offenbach, die nach ihrer Uraufführung 1865 in Bad Ems nie in Paris gespielt wurde und deren französischer Originaltext als verschollen gilt: das ist Coscoletto ou Le Lazzarone. Überlebt hat einzig die deutsche Übersetzung von Julius Hopp (1819-1885) für die Wiener Erstaufführung 1866, mit der berühmten Marie Geistinger in der Titelrolle des Müßiggängers („lazzarone“) Coscoletto. Nach einer Budapester Inszenierung 1871 kam dieses Stück erst 1966 in Brno und 1992 in Nürnberg wieder ans Tageslicht.
Nun gibt es diese WDR-Produktion von 2001 mit Stationen in Köln, Bad Ems, Hagen, Lüdenscheid und Iserlohn, die erst jetzt auf den CD-Markt kam. Günter Obst (1922-2003), langjähriger Vorsitzender der Bad Emser Jacques-Offenbach-Gesellschaft und Intendant des dort jährlich stattfindenden Offenbach-Festivals, hatte in der Offenbach-Sammlung des Historischen Archivs der Stadt Köln und im Verlagsarchiv von Bote & Bock in Berlin die notwendigen Materialien für die vorliegende Fassung gesammelt.
Coscoletto ist eine klassische Komödie, mit Liebes- und Verwechslungsverwicklungen nach Art der neapolitanischen Commedia dell’Arte: Arlecchino spielt die Hauptrolle, seine Colombina ist hier die Blumenhändlerin Delfina, als eifersüchtiger Pantalone fungiert der Makkaronihändler Frangipani, der eitle Dottore ist hier der übereifrige Apotheker Arsenico („Eine Kapsel Gift im Mund – man schläft tief, nur nicht gesund!“). Die Dialoge sind in der Obst-Fassung stark gekürzt, teilweise durch eine heutige Erzählerin (Angèle Durand) für den Hörer zusammengefasst. Oft wirklich witzig: Wenn es etwa zum Mordkomplott kommt, frotzelt die Erzählerin: „hol’ schon mal das Fischerboot, Frangi“.
Die Musik ist nicht bester, aber doch sehr guter Offenbach. Sie hat heiteren Schwung, lässt unter ihrer schwerelosen Oberfläche geradezu mozärtlich immer wieder tragisch tief blicken. Immerhin bricht im ersten Finale der Vesuv aus, dort findet sich eine Anspielung an Così fan tutte; im zweiten Finale glauben sich – inmitten der Tarantella-Hymne auf die Makkaroni – alle fälschlich vergiftet und gestehen einander im vermeintlichen Angesicht des Todes die Wahrheit. Wir erinnern uns: Kollege Gioacchino Rossini nannte Offenbach seinerzeit „unseren kleinen Mozart der Champ-Elysées“. Die Musik könnte dieser sanften Opernparodie auch auf die heutige Bühne verhelfen.
Die Produktion aus Offenbachs Geburtsstadt Köln leidet etwas an einer leicht sterilen Studioatmosphäre, besonders wenn Sänger Hörspieltexte sprechen müssen. Sie ist aber hervorragend geeignet, dieses unbekannte kleine Meisterwerk kennen zu lernen, auch dank sehr solider Solisten (über die das sonst gelungene Beiheft der Doppel-CD kein näheres Wort verliert), allen voran die (inzwischen an der Komischen Oper Berlin engagierte) junge Sopranistin Mojca Erdmann als Coscoletto.
Mit der hier geforderten Musiksprache scheint auch das von Helmuth Froschauer geleitete WDR Rundfunkorchester Köln bereits bestens vertraut zu sein, denn es vermittelt klar den von Streichern und Holzbläsern dominierten Klang, auch wenn die leicht verhallte Aufnahmetechnik diesen unnötig etwas aufbläht. Das Orchester erscheint überhaupt, neben dem von Heinz-Walter Florin munter einstudierten Collegium Cantandi Bonn an den wenigen Chorstellen, als die eigentlich vorwärts treibende Kraft der Einspielung.
Ingo Hoddick