Schumann, Robert

Complete works for violin and orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BIS Records SACD 1775
erschienen in: das Orchester 01/2012 , Seite 67

Die Rezeptionsgeschichte von Schumanns spätem d-Moll-Violinkonzert (1853) ist fast genauso interessant wie das Konzert selbst. Wie manch andere Spätwerke Schumanns war es dem Vorurteil ausgesetzt, der Meister habe es im Zustand geistiger Umnachtung komponiert, das Stück sei Ausdruck des Wahnsinns und im Grunde nicht ernst zu nehmen. Da auch Clara Schumann und Joseph Joachim eine Aufführung letztlich ablehnten, existierte das Konzert bis 1937 lediglich auf dem Papier. Nun plötzlich sollte es der Nazipropaganda dienstbar werden, die gerne einen adäquaten Ersatz für das populäre Violinkonzert des „Juden“ Mendelssohn gehabt hätte.
Allein, so einfach gab sich das d-Moll-Konzert diesem Zweck nicht hin – für die Uraufführung mit Georg Kulenkampff und den Berliner Philharmonikern unter Leitung von Karl Böhm wurde es dreist aufpoliert, allzu düstere tiefe Passagen wurden einfach oktaviert, um Brillanz zu generieren. Die eigentliche Uraufführung besorgte 1937 Yehudi Menuhin, und erst ab den 1970er Jahren setzte eine allmähliche Rehabilitation ein, die
inzwischen zu einer ganzen Reihe von Einspielungen geführt hat. Im Konzertsaal indes ist das Werk immer noch selten zu hören.
Auf der vorliegenden CD mit der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie und dem aus Schweden stammenden Geiger Ulf Wallin sind nun nicht nur das d-Moll Konzert zu hören, sondern auch das berühmtere a-Moll-Konzert (im Original für Cello und Orchester, für Geige von Schumann selbst transkribiert) und die C-Dur-Fantasie op. 131. Allein diese seltene Kopplung rechtfertigt die Aufnahme, denn man erfährt im Überblick, welch besonderen Umgang Schumann mit der Geige pflegte – und wie spannend seine letztlich doch dunkel gefärbten Konzerte sich ausmachen gegenüber anderen goldglänzenden Virtuosenkonzerten des 19. Jahrhunderts.
Dabei fordert gerade das d-Moll-Konzert klanglich, technisch und interpretatorisch Höchstleistungen vom Interpreten, die Ulf Wallin beeindruckend und mit betont dunklem, süffigem, aber nie schwülstigem Timbre bewältigt – die Chemnitzer Philharmonie unter Leitung von Frank Beermann stets an seiner Seite. Auf Änderungsvorschläge Joseph Joachims, der diese zwar eingebracht, aber nie mit Schumann abgestimmt hatte, geht er nicht ein und vertraut auf den Schumann’schen Originaltext, der mit seinen weiten Bögen und dem durchsichtigen Gewebe etwas zukunftsweisendes, beinahe Avantgardistisches hat.
Im a-Moll-Konzert hat man freilich, nolens volens, doch immer die Cello-Version im Ohr, an deren Klang sich Ulf Wallin auch anzunähern versucht. Für sich genommen ist das Plädoyer für dieses Konzert damit nicht ganz so zwingend – es wirkt aber wiederum im Verbund mit den anderen beiden Werken der CD. Wer in dieser herrlichen Musik – wie 1967 der Musikwissenschaftler Kurt Pahlen – vor allem „Studienmaterial für den Psychiater“ erkennt, sollte vielleicht selbst einen aufsuchen.
Johannes Killyen