Peter Eötvös
Adventures of the Dominant Seventh Chord
für Viola solo
ABENTEUER
Gibt es nichts Abgegriffeneres als den Dominantseptakkord? In den 1970er Jahren, als der junge Peter Eötvös mit Karlheinz Stockhausen zusammenarbeitete und Leiter des Ensembles Intercontemporain wurde, wäre er verpönt gewesen. Doch nun komponiert Eötvös ein ganzes Stück über ihn und nennt es mit ironischem Augenzwinkern Adventures of the Dominant Seventh Chord. Ja, es sind wirkliche Abenteuer; denn immer passiert etwas Unerwartetes. Sowohl der Spieler als auch die Hörer erleben den Dominantseptakkord neu, da er aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen wurde: Er ist nicht mehr Teil einer Kadenz, führt nicht mehr zu einem Abschluss des musikalischen Geschehens, sondern eher schon zu einem Trugschluss, „der den Zuhörer schmunzelnd irreführt“, wie der Komponist ironisch im Vorwort schreibt.
In der Tat wird der Dominantseptakkord zwar aus seinem bisherigen Kontext herausgenommen, aber keineswegs seines bisherigen Charakters beraubt. Er führt auch bei Eötvös die Musik wohin, aber eben nicht in einen Schluss oder Trugschluss, sondern anderswohin. Die Viola spielt die Töne des Dominantseptakkords in vielen verschiedenen Varianten und Rhythmen. Dadurch wird dieser Akkord – und seine melodische Auffächerung – zu einer Art Thema, das sich während des Stücks zwar verändert und weiterentwickelt, aber doch ein Ruhepunkt und vor allem ein Ausgangspunkt für die musikalischen „Abenteuer“ ist, die von diesem Akkord ausgehen und in die osteuropäische, auf Improvisation beruhende Tanzmusik führen, während er die Tradition der komponierten europäischen Musik symbolisiert.
Diese Komposition ist ein wichtiger Beitrag zur Bereicherung des Viola-Repertoires. Allerdings erfordert sie eine hohe Virtuosität von Seiten des Spielers oder der Spielerin, und zwar sowohl was die Grifftechnik der linken als auch die Bogenführung der rechten Hand angeht. Da das Stück eine Vielzahl virtuoser Techniken aufweist, ist es gut für den Unterricht fortgeschrittener Schüler:innen geeignet: Man kann hier bei Etüden, Finger- und Strichübungen Gelerntes voller Spiellust anwenden. Denn trotz aller technischer Ansprüche ist diese Komposition keineswegs eine Etüde, sondern ein Virtuosenstück für den Konzertsaal. Einer zündenden Wirkung auf das Publikum steht nur ein wenig die etwas ausufernde Länge im Weg. Deshalb kommt es sehr darauf an, dass dem Spieler eine reiche Skala an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung steht, dass er sich von der Strenge klassischer Musik befreit und in die Rolle osteuropäischer Musikanten schlüpft, also das Abenteuer dieser Komposition ernst nimmt.
Die Ausgabe des Schott-Verlags vereinigt ein gestochen scharfes Notenbild mit großer Übersichtlichkeit. Eine wichtige Bereicherung für das Viola-Repertoire!
Franzpeter Messmer